Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln
Klaus-Dieter Jany und Ralf Greiner (Karlsruhe)
Für neuartige
Lebensmittel ist in der Europäischen Union am 15. Mai 1997 nach
langjährigen Verhandlungen die Novel Food-Verordnung in Kraft
getreten. Diese Verordnung regelt das Inverkehrbringen und die
Etikettierung von neuartigen Lebensmitteln in allen
EU-Mitgliedstaaten nach einheitlichen Kriterien. Da die
Handhabung in der Praxis auf Probleme gestoßen ist, sind von
der EU ergänzende Verordnungen erlassen worden. Die
Anlaufschwierigkeiten und Unsicherheiten und die gefundenen Lösungsansätze
schildert der folgende Beitrag.
In Deutschland werden unter „Novel Food" fast
ausschließlich gentechnisch modifizierte Lebensmittel
verstanden.
Die Novel Food-Verordnung (Verordnung EG Nr. 258/97 des Europäischen
Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und
Lebensmittelzutaten) faßt allerdings eine breite Palette
unterschiedlichster Produkte zusammen. Dabei handelt es sich um
Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die bislang im gemeinsamen
EU-Markt noch nicht verzehrt wurden (z. B. Produkte aus Algen
oder Mikroorganismen) und sich sechs genau definierten
Kategorien zuordnen lassen. Lediglich zwei betreffen die
Gentechnik:
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Lebensmittel, die selbst den gentechnisch veränderten
Organismus (GVO) darstellen (z. B. Flavr-Savr-Tomate)
oder GVO enthalten (Joghurt mit Lebendkulturen) und |
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Produkte, die aus GVO gewonnen werden, aber den
lebenden GVO nicht mehr enthalten (z. B. Öl aus
herbizidtoleranten Sojabohnen). |
In Artikel 8 der Novel Food-Verordnung sind die
Etikettierungsanforderungen zur Unterrichtung der Verbraucher
festgelegt. Sie gelten für alle neuartigen Lebensmittel und
sind nicht speziell auf gentechnisch modifizierte Erzeugnisse
ausgerichtet. In Tabelle 1 sind die Kennzeichnungskriterien
aufgelistet.
Informiert werden die Verbraucher über die jeweilige Veränderung
und das Verfahren. Die Etikettierung gilt sowohl für verpackte
als auch für offene Ware sowie für Lebensmittel aus der
Gemeinschaftsverpflegung.
Grundsätzlich müssen alle Lebensmittel und
Lebensmittelzutaten gekennzeichnet werden, die lebende GVO sind
oder enthalten. Ebenso müssen Verbraucher durch eine
entsprechende Kennzeichnung informiert werden, wenn das
neuartige Erzeugnis im Vergleich zum traditionellen Lebensmittel
Stoffe enthält, die die Gesundheit bestimmter Menschen
beeinflussen können (z. B. neues oder erhöhtes allergenes
Potential), oder wenn gegen Stoffe in dem neuen Lebensmittel
ethische oder religiöse Bedenken oder aufgrund bestimmter Ernährungsformen
Vorbehalte bestehen. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein,
wenn ein tierisches Gen (Protein) in traditionell vegetarischen
Produkten oder ein „Schweine-Gen" in Lebensmitteln für
Moslems vorhanden ist. Ebenso müssen Erzeugnisse gekennzeichnet
werden, die sich von vergleichbaren traditionellen Lebensmitteln
unterscheiden, das heißt, wenn sie nicht gleichwertig sind
(Artikel 8, Absatz 1a).
Was bedeutet „gleichwertig"?
Im Sinne der Novel Food-Verordnung werden neuartige
Lebensmittel als nicht gleichwertig angesehen, wenn sie gegenüber
vergleichbaren traditionellen Erzeugnissen Unterschiede
aufweisen, die sich analytisch und auf der Basis einer
wissenschaftlichen Beurteilung feststellen lassen. Offen blieb
dabei allerdings die Frage nach den Kriterien für die
Gleichwertigkeit und den Analysenmethoden. Sehr leicht läßt
sich eine gezielte Veränderung anhand der stofflichen
Zusammensetzung nachweisen. So müssen Öle mit einer veränderten
Fettsäurezusammensetzung (z. B. höherer Gehalt an mehrfach
ungesättigten Fettsäuren) oder Stärken mit verändertem
Ver-zweigungsgrad (z. B. vorwiegend Amylose oder Amylopektin)
stets gekennzeichnet werden, denn sie unterscheiden sich von den
entsprechenden konventionellen Erzeugnissen. Eine Kennzeichnung
wird auch erforderlich, wenn in dem Erzeugnis noch die neueingeführte
genetische Information (DNA) oder das (die) neueingeführte(n)
Protein(e) nachweisbar enthalten sind. In diesen Fällen ist das
neuartige Erzeugnis in seiner Zusammensetzung zu dem
vergleichbaren traditionellen nicht mehr gleichwertig (der
Begriff ‘nicht gleichwertig’ impliziert keine Wertung in
Richtung ‘schlechter’, sondern ist im Sinne von ‘anders’
zu verstehen).
Eine Kennzeichnung ist nicht erforderlich, wenn die
Erzeugnisse keine stofflichen oder ernährungsphysiologischen
Unterschiede zu konventionellen Produkten aufweisen. So
enthalten zum Beispiel raffinierte Öle aus transgenem Raps,
Mais und transgenen Sojabohnen keine DNA und keine Proteine
mehr. Infolgedessen werden sie sowohl in der
Sicherheitsbeurteilung als auch in der stofflichen
Zusammensetzung als gleichwertig zu den konventionellen Ölen
bewertet.
Gerade in dem Kriterium der Gleichwertigkeit von Produkten
sehen viele Verbraucher und Kritiker der Gentechnik einen Mangel
der Novel Food-Verordnung. Sie sind der Ansicht, daß hierdurch
viele Lebensmittel von der Kennzeichnungsregelung ausgenommen
und die Verbraucher nicht hinreichend über den Einsatz der
Gentechnik informiert werden. Hierbei ist allerdings zu
bedenken, daß eine Kennzeichnung nur verläßlich praktiziert
werden kann, wenn sie auch überprüfbar ist. Wenn aber in einem
hochaufbereiteten und gereinigten Produkt wie raffiniertem Öl
oder raffiniertem Zucker die gentechnische Veränderung nicht
nachweisbar ist, weil die in Frage kommenden Stoffe (DNA oder
Proteine) gar nicht mehr vorhanden sind, ist auch eine
Kennzeichnung nicht mehr sinnvoll.
Sojabohnen und Mais
Im Frühjahr 1997, kurz vor Inkrafttreten der Novel
Food-Verordnung, erhielten herbizidtolerante Roundup Ready
Sojabohnen und insektenresistenter Bt-Mais in der EU die
Genehmigung zum Inverkehrbringen nach der Freisetzungsrichtline.
In den entsprechenden Entscheidungen 96/281/EG (Soja) und
97/98/EG (Mais) wurde keine spezielle Kenntlichmachung der
Produkte vorgeschrieben. Wären sie nach der Novel Food-
Verordnung zugelassen worden, so hätte zum Beispiel Sojaprotein
aus den herbizidtoleranten Sojabohnen gekennzeichnet werden müssen.
Da Soja- und Maisverarbeitungsprodukte in sehr vielen
Lebensmitteln vorhanden sind, Verbraucher ein Anrecht auf
Information haben und auch um Wettbewerbsverzerrungen für möglicherweise
folgende transgene Soja- und Maisvarietäten abzubauen, hat die
EU-Kommission die Etikettierungsrichtlinie ergänzt: Die bereits
zugelassenen Soja- und Maisprodukte müssen ab 1. November 1997
ebenfalls entsprechend Artikel 8 der Novel Food-Verordnung
gekennzeichnet werden (Ergänzungsverordnung EG 1813/97).
Obwohl derartige Mais- und Sojaprodukte auf dem Markt sind
und die Verordnung in Kraft getreten ist, lassen sich kaum
gekennzeichnete Lebensmittel im Regal finden. Dies liegt daran,
daß weder bestimmt wurde, wie die Etikettierung konkret
vorzunehmen sei, noch welche Nachweisverfahren zum Tragen kommen
sollen. Die Novel Food-Verordnung ließ sich somit nicht direkt
anwenden. Weder Lebensmittelhersteller noch Überwachungsbehörden
hatten klare Handlungsanweisungen. Um hier Abhilfe zu schaffen,
legte die Kommission im Dezember 1997 einen ergänzenden
Vorschlag zur Etikettierung für Soja- und Maisprodukte vor.
Richtungsweisend für die wissenschaftliche Beurteilung der
Nichtgleichwertigkeit zwischen neuartigen und konventionellen
Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten waren die Ausführungen
zum DNA- und Proteinnachweis. Hiernach soll bereits das
Vorhandensein der neueingeführten DNA das Kriterium der
Nichtgleichwertigkeit erfüllen. Dadurch werden ganz im Sinne
der Verbraucherinformation eine größere Anzahl von
Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten erfaßt. Erst wenn die
Identifikation der neueingeführten DNA versagt, soll das
Proteinkriterium zum Tragen kommen. Da DNA in
Verarbeitungsprozessen relativ häufig in ihre Einzelbausteine
zerlegt wird, erweitert die Proteinanalytik den
Etikettierungsumfang.
Diese Bestimmungen wurden in eine sogenannte Ablöseverordnung
(EG Nr. 1139/98) hineingeschrieben. Sie ist am 1. September 1998
in Kraft getreten und löst die vorhergehende Ergänzungsverordnung
ab. Die Ablöseverordnung gilt ausschließlich für die beiden
genannten Soja- und Maisvarietäten „Roundup Ready
Sojabohnen" und „Novartis Bt-Mais 176". Es ist aber
davon auszugehen, daß diese Ausführungen demnächst auf alle
gentechnisch modifizierten Erzeugnisse angewendet werden.
Die Kennzeichnung
Lebensmittel oder Lebensmittelzutaten aus gentechnisch verändertem
Soja oder Mais müssen immer dann gekennzeichnet werden, wenn
sich die neueingeführte DNA oder das neueingeführte Protein im
Endprodukt – also dem Produkt, das für den Verbraucher zum
Verzehr bestimmt ist – nachweisen läßt. In diesen Fällen muß
eine Kennzeichnung mit „aus genetisch veränderten Sojabohnen
hergestellt" bzw. „aus genetisch verändertem Mais
hergestellt" erfolgen (Abb. 1). Es müssen nicht beide
neuen Komponenten nachgewiesen werden. Aber falls sich die
neueingeführte DNA nicht nachweisen läßt, muß überprüft
werden, ob in dem Produkt noch das neue Protein enthalten ist.
Erst wenn die Nachweise für beide Komponenten negativ
ausfallen, ergibt sich keine Kennzeichnungspflicht. Gegenwärtig
beschränkt sich der Nachweis ausschließlich auf die Detektion
der neueingeführten DNA. Für Soja und Mais stehen in
Ringversuchen überprüfte Verfahren zur Verfügung, allerdings
wurden die Nachweise in weiterverarbeiteten Produkten bislang
noch nicht so intensiv bearbeitet. Am Molekularbiologischen
Zentrum der Bundesforschungsanstalt für Ernährung (BFE) ist für
gentechnisch modifiziertes Soja auch ein Proteinnachweis
entwickelt worden, der zur Zeit weiter optimiert wird.
Abb. 1: Schokoriegel mit
Cornflakes und Stärke aus transgenem Mais.
Die Zutatenliste auf der Rückseite der Verpackung enthält die
Deklaration „aus genetisch verändertem Mais hergestellt"
(Fotos: M. Welling)
Zum Auffinden der veränderten DNA ist die „Polymerase
Chain Reaction" (PCR) Methode der Wahl. Mit ihr lassen sich
einzelne DNA-Fragmente exponentiell vervielfältigen und im
weiteren Verlauf identifizieren (Abb. 2). Die PCR läßt sich
mit einem Kopiergerät im Büro vergleichen, das von einer
Vorlage beliebig viele identische Kopien produzieren kann.
Abb. 2: Mit Hilfe der PCR lassen
sich bestimmte – also auch gentechnisch eingefügte –
DNA-Fragmente vervielfältigen und auf einem Gel als Banden
sichtbar machen.
Die Abbildung zeigt eine PCR-Untersuchung von transgenem Raps.
Die PCR ist ein hochempfindliches Nachweisverfahren. Um zu
verhindern, daß jede kleine Verunreinigung des Endprodukts mit
neuer DNA zu einer Kennzeichnung führt, soll ein Schwellenwert
eingeführt werden, oberhalb dessen erst gekennzeichnet werden
muß. Gegenwärtig ist ein solcher Schwellenwert noch nicht
festgelegt. In der Diskussion stehen relative Werte zwischen
1–3 % der neueingeführten DNA in Bezug auf den
Gesamt-DNA-Gehalt. In der Ablöseverordnung ist auch eine
Negativliste für Produkte, die nicht gekennzeichnet zu werden
brauchen, aufgenommen worden. Klassische Beispiele hierfür sind
raffinierte Öle aus Soja oder Mais.
Zusatzstoffe (zum Beispiel Sojalecithin), Aromen und
Extraktionsmittel werden von der Novel Food Verordnung und auch
von der Ablöseverordnung nicht erfaßt. Sie unterliegen somit
auch keiner Kennzeichnung. Nicht eindeutig ist die Stellung von
Enzymen, die als Verarbeitungshilfsstoffe verwendet werden. In
der EU-Kommission wird aber bereits eine Regelung für Enzyme
diskutiert.
„Gentechnikfrei"
In der Präambel zur Novel Food- Verordnung wird ausdrücklich
darauf hingewiesen, daß auch eine Kennzeichnung derart erfolgen
kann, daß das Lebensmittel kein neuartiges Erzeugnis im Sinne
der Verordnung darstellt. Eine Kennzeichnung
„gentechnikfrei" ist möglich. Auf europäischer Ebene
sind allerdings bis heute die Begriffe „gentechnikfrei"
oder „Ohne Gentechnik" noch nicht definiert. Österreich
hat im nationalen Rahmen schon eine entsprechende Regelung
eingeführt, und für Deutschland ist im Juli 1998 vom Bundesrat
eine Gesetzesvorlage für die Etikettierung „Ohne
Gentechnik" verabschiedet worden. Diese Regelung steht zur
Notifizierung durch die EU an. Gegenwärtig werden die Begriffe
sehr restriktiv verstanden. Der Produzent/Vertreiber muß lückenlos
nachweisen können, daß in keinem Herstellungsschritt – vom
Rohstoff bis zum Endprodukt – die Gentechnik in irgendeiner
Weise bei dem Lebensmittel eine Rolle gespielt hat. Nach der
deutschen Regelung dürfen Lebensmittel, die nachweislich auf
keiner Stufe der Herstellung mit der Gentechnik in Berührung
gekommen sind, mit dem Begriff „Ohne Gentechnik"
gekennzeichnet werden. Eine Auslobung mit
„gentechnikfrei" ist nicht erlaubt. „Ohne
Gentechnik" bedeutet hier, daß weder Rohstoffe aus
transgenen Pflanzen, noch Enzyme oder Zusatzstoffe und Aromen
aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen für die
Lebensmittelherstellung verwendet werden.
In der Tierhaltung dürfen keine Futtermittel oder
Futtermittelzutaten aus transgenen Organismen eingesetzt werden.
Eine Überprüfung ist hier schwierig. So liefert eine Kuh, die
mit transgenem Soja- oder Rapsschrot oder Mais gefüttert wurde,
keine gentechnisch veränderte Milch; diese ist substantiell
gleichwertig der Milch von Kühen, die mit traditionellem Futter
gefüttert worden sind.
Ein analytischer Nachweis des Einsatzes von transgenem Futter
ist im tierischen Endprodukt nicht möglich. Hier muß man sich
auf die Aufzeichnungspflicht des Landwirts und die Erklärungen
der Futtermittellieferanten verlassen.
Der Landwirt ist nicht verpflichtet, DNA-Nachweise für die
Futtermittel durchführen zu lassen. Solange ein Landwirt seinen
Nutztieren Futter aus nicht transgenen Pflanzen gibt und das
Futter mit Enzymen, Vitaminen, Aminosäuren aus nicht transgenen
Mikroorganismen versetzt, kann er die Erzeugnisse mit „Ohne
Gentechnik" ausloben. Nicht geklärt ist, wie der Landwirt
mit der Kennzeichnung umgehen muß, falls er – zum Beispiel in
den Wintermonaten – transgenes Material zufüttert und dann später
wieder auf nicht transgenes Futter umstellt. Die Verwendung von
Arznei- oder Impfmitteln aus transgenen Organismen haben keinen
Einfluß auf die Kennzeichnung.
Neu eingeführte DNA darf aber auch in Lebensmitteln „Ohne
Gentechnik" vorhanden sein, solange nachgewiesen werden
kann, daß diese DNA unbeabsichtigt oder aufgrund unvermeidbarer
Gegebenheiten in das Produkt gelangt ist. Letztes wäre zum
Beispiel beim Sammeln und Transport von konventionellem Soja in
Silos und Schiffen, die zuvor transgene Sojabohnen enthielten.
Es ist unmöglich, unter wirtschaftlichen Bedingungen eine
Reinigung zu erzielen, die eine absolute
„Gentechnikfreiheit" der Anlagen garantieren würde.
Verbraucher haben einen Anspruch auf Information über
Inhaltsstoffe und Herstellungsverfahren ihrer Lebensmittel. Die
Etikettierung muß nicht nur sachgerecht, sondern auch überprüfbar
sein. Kennzeichnung und Überprüfbarkeit, das heißt die
Nachweisbarkeit der gentechnischen Modifikationen und die
richtige Etikettierung, sind eng miteinander verbunden.
Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany,
Dr. Ralf Greiner, Bundesforschungsanstalt für Ernährung,
Haid-und-Neu-Straße 9, 76131Karlsruhe
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